Samstag, 7. November 2015

Back In Time

Eine Entdeckung, die ich sehr früh in Südafrika machen konnte, ist folgende: Südafrika entschleunigt. Zumindest ein Westeuropäer tritt gewaltig auf die Bremse, wenn er für ein Jahr nach Südafrika kommt. Zumindest ich musste die Zeitmaschine in den Rückwärtsgang schalten - und konnte dadurch in den Genuss der guten alten Zeiten kommen. Und das aus gutem Grund.
Wie unlängst bekannt ist, ist Lotus River, meine Wohngegend, ein härteres Pflaster. Es gilt, sich zu wappnen, um Übergriffe zu minimieren. Dazu gehört natürlich, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus zu verlassen, sich möglichst schnell und nur auf belebten Wegen zu bewegen. Eine weitere Vorsichtsmaßnahme, die ich treffe, ist, keine Wertgegenstände unnötig bei mir zu tragen oder öffentlich zu zeigen. Mein Smartphone bleibt also bei mir zu Hause - immer. Und zuhause kann ich es auch nur eingeschränkt nutzen, denn: kein Internet.

Der Austritt aus der digitalen Welt fiel mir überraschenderweise ziemlich leicht. Bislang kann ich sehr gut auf ständige Verfügbarkeit und ständiges Googlen verzichten. Natürlich habe ich eine südafrikanische SIM-Karte, die ich nutze, um mit den anderen Freiwilligen in Kapstadt in Verbindung zu bleiben. Auch nutze ich die mobile Datenverbindung, um mit meinem Smartphone WhatsApp zu benutzen und Emails zu lesen - allerdings eben nur zuhause.
Um dennoch erreichbar zu sein und in Notfällen jemanden erreichen zu können, habe ich mir ein altes Tastenhandy geholt - liebevoll als 123-Handy bezeichnet. Wenn mir das abhanden kommt, wäre der Verlust der SIM-Karte am schwersten zu verkraften. Dennoch musste ich tief in meinem Unterbewusstsein kramen und meine alten T9-Fähigkeiten wiederbeleben. Ein Schritt zurück in der Zeit.
Der CBD in der Kapstädter Innenstadt mit Hafen im Hintergrund
Man sollte nun nicht meinen, dass Kapstadt ein unentwickeltes Fleckchen Erde sei. Das digitale Netz ist in Kapstadt so gut ausgebaut wie in keinem anderen Teil Südafrikas - nur Johannesburg kann noch mithalten. Viele IT-Firmen und Technikunternehmen haben sich in Kapstadt angesiedelt. Zu ihnen gehören unter anderem Samsung, Naspers, ein südafrikanischer Medienkonzern und die größten Banken Südafrikas. Sie alle besitzen die größten Hochhäuser im CBD, dem Central Business District. Dennoch reicht der heiße Draht manchmal nur bis in die Büros der Unternehmen. In den allermeisten Haushalten, die Internetzugang haben, ist die Verbindung sehr, sehr lahm. 
Es gibt eine zugegebenermaßen nicht ganz glaubwürdige Anekdote, die das südafrikanische Internet sehr gut charakterisieren soll: Eine Brieftaube wurde losgeschickt, um eine Nachricht in eine einhundert Kilometer entlegene Stadt zu bringen. Zum gleichen Zeitpunkt wurde die gleiche Nachricht digital in Form einer Email in die selbe Stadt losgeschickt. Die Taube brauchte etwa fünf Stunden, um die
vollständige Nachricht abzuliefern - zu diesem Zeitpunkt war die Mail nicht einmal zur Hälfte hochgeladen.
Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Emails deutlich schneller hochgeladen werden, doch das Internet in Südafrika ist wirklich nicht das Gelbe vom Ei. Und so wird man oftmals enttäuscht, wenn man mit seiner Familie in Deutschland skypen will oder aber etwas im Internet suchen möchte. 
Und somit muss man sich arrangieren: Kein Smartphone, kein Internet. Was wie ein Albtraum eines Europäers klingt, ist in Wirklichkeit gar nicht so schlimm. Ich schlafe hier sehr gut. Man kann nun mal eben nicht ständig whatsappen, etwas googlen, twittern, Instagram durchforsten, auf Facebook und 9gag browsen. Wenn man einen halbwegs ordentlichen Internetzugang haben will, muss man ein Café aufsuchen, denn die haben in der Regel kostenloses WLan. Ansonsten ist man abgeschnitten von der digitalen Welt - doch dafür kann man die analoge sehr viel mehr genießen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen