Wenn man an Patriotismus
denkt, so erscheinen schnell Bilder der USA vor dem inneren Auge:
Stars and Stripes, die US-amerikanische Flagge, die Queen of Liberty,
der Freiheitsadler. Patriotismus wird in den USA gelebt und hält
eine solch große und diverse Nation zusammen. Doch auch wir
Deutschen haben eine spezielle Beziehung zum Patriotismus. Während
die Geschichte der USA jene Ideologie nährt und zum Wachsen beiträgt
– sei es die Erklärung der Unabhängigkeit, der Bürgerkrieg im
19. Jahrhundert, der Aufstieg zu einer Weltwirtschaftsmacht, die
erfolgreiche Intervention in zwei Weltkriegen – dämpft ein einst
herrschender Nationalismus in Deutschland den Stolz auf die eigene
Nation. Internationale Medien schreien die Wiedergeburt des Dritten
Reiches herbei, wenn stolz die Flagge Deutschlands geschwungen wird.
Sind am Haus wehende Fahnen im mittleren Westen beispielsweise keine
Seltenheit, so sieht man solche in Deutschland überhaupt nicht. Der
Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus ist klein, doch
wird oftmals übersehen.
Einen ähnlichen
Nationalstolz besitzen die Südafrikaner. Jahrzehntelang hat man
unter einem Machtregime leben müssen, Kriege der Nationen und
Kulturen wüteten die Jahrhunderte zuvor am südlichen Zipfel
Afrikas. Wem gehörte dieses Land? Den Stämmen der Xhosas und Zulus?
Diese beiden Völker bekämpften sich schon lange bevor die ersten
Europäer Südafrika kolonialisierten. Oder gehört es gerade
deswegen den Niederländern, die als erste flächendeckend das Land
durch die Ostindische-Handelskompanie besiedeln konnten? Deren
Gegenspieler waren hingegen die Briten, die erfolgreich eine
landesweite Exekutivmacht errichten konnten. Oft vergessen werden in
diesem Gedankenspiel hingegen die Khoi- und San-Völker, jene
Volksgruppen, die seit Jahrtausenden das südliche Afrika bevölkern
und aus denen die Stämme der Xhosas und Zulus hervorgegangen sind.
Ein kunterbunter
Kauderwelsch aus Abstammung, Zugehörigkeit, Stämmen, Völkern,
Nationen, Sprachen, Denkweisen, das sich über tausende von Jahren
gebildet hat. Und heute stehen wir an einem Punkt, an dem man sagt,
genau das sei die Identität Südafrikas: eine schwer zu definierende
und vor allem zusammenzufassende Nation, die sich auszeichnet durch
deren Diversität und Pluralismus.
Symbolisch für diese
bewegende und ereignisreiche Historie und dessen Nation steht die
südafrikanische Flagge. Kaum ein anderes Land auf der Welt besitzt
eine solch farbenreiche Flagge: rot, weiß, grün, gelb, schwarz und
blau. Ein jeder Klecks steht für ein anderes Stück Südafrikas –
welches das genau ist, soll explizit dem Betrachter überlassen
werden. Fest steht jedoch, dass durch sie die Einheit des Landes und
aller Ethnien verdeutlicht werden soll.
Die Südafrikaner sind
stolz auf ihre Farben. Zu einer Nationalflagge gehört jedoch auch
eine Nationalhymne, welche ebenso vereinigend ist wie die Flagge
selbst. Aus fünf Sprachen bestehen die vier Strophen der Hymne:
Xhosa, Zulu, Sesotho, Afrikaans und Englisch – die fünf
meistgesprochenen Sprachen des Landes. Weitere sechs Sprachen sind
offizielle Amtssprachen des Landes: Süd-Ndebele, Nord-Sotho,
Setswana, Siswati, Tshivenda und Xitsonga.
Ein Moment, der mir den
Stolz der Südafrikaner verdeutlichte und mir sehr im Gedächtnis
hängen geblieben ist, war auf einem Konzert des Chores der
University of Cape Town (UCT). Der Chor der UCT gehört zu den besten
des Landes und hat im universitätseigenen Orchestersaal sein
alljähriges Winterkonzert gehalten. Als Gast eingeladen war der Chor
des Emory & Henry College aus Virginia. Einige sehr interessante
Stücke der Klassik und Moderne wie auch afrikanische Klänge führte
der Chor auf. Höhepunkt der Stimmung war definitiv die Präsentation
der südafrikanischen Nationalhymne. Eingeleitet durch die Worte der
sehr charismatischen und freundlichen Dirigentin: „You might know
this one.“ Ein Jubel ging durch das Publikum, als die ersten Klänge
ertönt sind. Und es dauerte nur wenig Sekunden, da stand der gesamte
Saal aufrecht, Hand auf dem Herzen und sang stolz in fünf Sprachen.
Wir als – anscheinend – einzigen Ausländer, welche nicht einmal
alle Strophen in den jeweiligen Sprachen kannten, fühlten uns etwas
fehl am Platz – sicherlich, weil wir Deutsche sind.
Undenkbar in Deutschland,
oder? Die einzigen Situationen, in denen ein stolzes und inbrünstiges
Singen der Nationalhymne gestattet ist, ist der Einzug der
Fußballnationalmannschaft und nach einem deutschen Sieg in der
Formel 1 – und selbst dann singt nicht jeder mit.
Ein weiterer Teil ihrer
Nation, auf den US-Amerikaner stets stolz sind und ihn in hohen Tönen
loben, ist ihrer Armee. Hundertmillionen von Dollars werden jährlich
in den Krieg gesteckt, um das Land zu schützen und Demokratie in der
Welt zu verbreiten. Auch Südafrika hat eine Armee. Man hätte es
kaum geglaubt. Und ich war überrascht, dass Südafrika mehr Geld für
Verteidigung ausgibt als Deutschland, nämlich 1,5% des BIP gegen
1,2%. Südafrika setzt sich vorwiegend für friedenssichernde
Missionen ein und stellt viele Blauhelmsoldaten für die UN.
Simon's Town diente unter
britischer Herrschaft als Marinestützpunkt. Unweit außerhalb
Kapstadt liegt der Ort auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung in der
False Bay. Noch heute wird dort der Militärhafen aktiv von der Navy
genutzt. Einmal jährlich wird das Simon's Town Navy Fest
veranstaltet, ein Tag der offenen Tür. Ausgerichtet an Familien mit
Kindern hat man die Gelegenheit, Kriegsschiffe und U-Boote zu
besichtigen, aktuelle Kriegstechnik zu bestaunen, an
Meeresrettungsmissionen teilzunehmen, Schießübungen beizuwohnen und
sich bei der Navy einschreiben zu lassen. Interaktiv soll es sein.
Doch erneut bäumte sich der pazifistische Deutsche in mir auf, als
ich kleine Kinder stolz ungeladene Flak-Geschütze und
Scharfschützengewehre benutzen sah. Die deutsche Marine hält sich
auf ihrem Tag der offenen Tür in Hamburg schließlich zurück, was
so etwas angeht.
Wie beschrieben:
Patriotismus und Nationalismus sind zwei verschieden Paar Schuhe; das
weiß Deutschland sehr gut. Doch das Leben in einem so stolzen Land
wie Südafrika zeigt mir, wie restriktiv Deutschland wirklich ist.
Dabei hat Südafrika ebenfalls ein rassistisches Regime durchmachen
müssen. Es gibt einige weiße Südafrikaner, die sich noch heute um
deren Bild im Ausland sorgen, schließlich waren „sie“
diejenigen, die die schwarze Bevölkerung unterdrückt haben. Genau
so wie einige Deutsche sich Sorge um deren Bild im Ausland machen.
Hingegen tritt Deutschland lieber auf die Bremse und hält sich
zurück, während Südafrika frohen Mutes vorangeht und als neue,
gestärkte Nation aus ihrer Vergangenheit hervorkommt.
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