Samstag, 2. Juli 2016

„And united we shall stand, in South Africa our land“

Wenn man an Patriotismus denkt, so erscheinen schnell Bilder der USA vor dem inneren Auge: Stars and Stripes, die US-amerikanische Flagge, die Queen of Liberty, der Freiheitsadler. Patriotismus wird in den USA gelebt und hält eine solch große und diverse Nation zusammen. Doch auch wir Deutschen haben eine spezielle Beziehung zum Patriotismus. Während die Geschichte der USA jene Ideologie nährt und zum Wachsen beiträgt – sei es die Erklärung der Unabhängigkeit, der Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert, der Aufstieg zu einer Weltwirtschaftsmacht, die erfolgreiche Intervention in zwei Weltkriegen – dämpft ein einst herrschender Nationalismus in Deutschland den Stolz auf die eigene Nation. Internationale Medien schreien die Wiedergeburt des Dritten Reiches herbei, wenn stolz die Flagge Deutschlands geschwungen wird. Sind am Haus wehende Fahnen im mittleren Westen beispielsweise keine Seltenheit, so sieht man solche in Deutschland überhaupt nicht. Der Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus ist klein, doch wird oftmals übersehen.
Einen ähnlichen Nationalstolz besitzen die Südafrikaner. Jahrzehntelang hat man unter einem Machtregime leben müssen, Kriege der Nationen und Kulturen wüteten die Jahrhunderte zuvor am südlichen Zipfel Afrikas. Wem gehörte dieses Land? Den Stämmen der Xhosas und Zulus? Diese beiden Völker bekämpften sich schon lange bevor die ersten Europäer Südafrika kolonialisierten. Oder gehört es gerade deswegen den Niederländern, die als erste flächendeckend das Land durch die Ostindische-Handelskompanie besiedeln konnten? Deren Gegenspieler waren hingegen die Briten, die erfolgreich eine landesweite Exekutivmacht errichten konnten. Oft vergessen werden in diesem Gedankenspiel hingegen die Khoi- und San-Völker, jene Volksgruppen, die seit Jahrtausenden das südliche Afrika bevölkern und aus denen die Stämme der Xhosas und Zulus hervorgegangen sind.
Ein kunterbunter Kauderwelsch aus Abstammung, Zugehörigkeit, Stämmen, Völkern, Nationen, Sprachen, Denkweisen, das sich über tausende von Jahren gebildet hat. Und heute stehen wir an einem Punkt, an dem man sagt, genau das sei die Identität Südafrikas: eine schwer zu definierende und vor allem zusammenzufassende Nation, die sich auszeichnet durch deren Diversität und Pluralismus.
Symbolisch für diese bewegende und ereignisreiche Historie und dessen Nation steht die südafrikanische Flagge. Kaum ein anderes Land auf der Welt besitzt eine solch farbenreiche Flagge: rot, weiß, grün, gelb, schwarz und blau. Ein jeder Klecks steht für ein anderes Stück Südafrikas – welches das genau ist, soll explizit dem Betrachter überlassen werden. Fest steht jedoch, dass durch sie die Einheit des Landes und aller Ethnien verdeutlicht werden soll.
Die Südafrikaner sind stolz auf ihre Farben. Zu einer Nationalflagge gehört jedoch auch eine Nationalhymne, welche ebenso vereinigend ist wie die Flagge selbst. Aus fünf Sprachen bestehen die vier Strophen der Hymne: Xhosa, Zulu, Sesotho, Afrikaans und Englisch – die fünf meistgesprochenen Sprachen des Landes. Weitere sechs Sprachen sind offizielle Amtssprachen des Landes: Süd-Ndebele, Nord-Sotho, Setswana, Siswati, Tshivenda und Xitsonga.
Ein Moment, der mir den Stolz der Südafrikaner verdeutlichte und mir sehr im Gedächtnis hängen geblieben ist, war auf einem Konzert des Chores der University of Cape Town (UCT). Der Chor der UCT gehört zu den besten des Landes und hat im universitätseigenen Orchestersaal sein alljähriges Winterkonzert gehalten. Als Gast eingeladen war der Chor des Emory & Henry College aus Virginia. Einige sehr interessante Stücke der Klassik und Moderne wie auch afrikanische Klänge führte der Chor auf. Höhepunkt der Stimmung war definitiv die Präsentation der südafrikanischen Nationalhymne. Eingeleitet durch die Worte der sehr charismatischen und freundlichen Dirigentin: „You might know this one.“ Ein Jubel ging durch das Publikum, als die ersten Klänge ertönt sind. Und es dauerte nur wenig Sekunden, da stand der gesamte Saal aufrecht, Hand auf dem Herzen und sang stolz in fünf Sprachen. Wir als – anscheinend – einzigen Ausländer, welche nicht einmal alle Strophen in den jeweiligen Sprachen kannten, fühlten uns etwas fehl am Platz – sicherlich, weil wir Deutsche sind.
Undenkbar in Deutschland, oder? Die einzigen Situationen, in denen ein stolzes und inbrünstiges Singen der Nationalhymne gestattet ist, ist der Einzug der Fußballnationalmannschaft und nach einem deutschen Sieg in der Formel 1 – und selbst dann singt nicht jeder mit.
Ein weiterer Teil ihrer Nation, auf den US-Amerikaner stets stolz sind und ihn in hohen Tönen loben, ist ihrer Armee. Hundertmillionen von Dollars werden jährlich in den Krieg gesteckt, um das Land zu schützen und Demokratie in der Welt zu verbreiten. Auch Südafrika hat eine Armee. Man hätte es kaum geglaubt. Und ich war überrascht, dass Südafrika mehr Geld für Verteidigung ausgibt als Deutschland, nämlich 1,5% des BIP gegen 1,2%. Südafrika setzt sich vorwiegend für friedenssichernde Missionen ein und stellt viele Blauhelmsoldaten für die UN.
Simon's Town diente unter britischer Herrschaft als Marinestützpunkt. Unweit außerhalb Kapstadt liegt der Ort auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung in der False Bay. Noch heute wird dort der Militärhafen aktiv von der Navy genutzt. Einmal jährlich wird das Simon's Town Navy Fest veranstaltet, ein Tag der offenen Tür. Ausgerichtet an Familien mit Kindern hat man die Gelegenheit, Kriegsschiffe und U-Boote zu besichtigen, aktuelle Kriegstechnik zu bestaunen, an Meeresrettungsmissionen teilzunehmen, Schießübungen beizuwohnen und sich bei der Navy einschreiben zu lassen. Interaktiv soll es sein. Doch erneut bäumte sich der pazifistische Deutsche in mir auf, als ich kleine Kinder stolz ungeladene Flak-Geschütze und Scharfschützengewehre benutzen sah. Die deutsche Marine hält sich auf ihrem Tag der offenen Tür in Hamburg schließlich zurück, was so etwas angeht.
Wie beschrieben: Patriotismus und Nationalismus sind zwei verschieden Paar Schuhe; das weiß Deutschland sehr gut. Doch das Leben in einem so stolzen Land wie Südafrika zeigt mir, wie restriktiv Deutschland wirklich ist. Dabei hat Südafrika ebenfalls ein rassistisches Regime durchmachen müssen. Es gibt einige weiße Südafrikaner, die sich noch heute um deren Bild im Ausland sorgen, schließlich waren „sie“ diejenigen, die die schwarze Bevölkerung unterdrückt haben. Genau so wie einige Deutsche sich Sorge um deren Bild im Ausland machen. Hingegen tritt Deutschland lieber auf die Bremse und hält sich zurück, während Südafrika frohen Mutes vorangeht und als neue, gestärkte Nation aus ihrer Vergangenheit hervorkommt.  

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