Sonntag, 19. Juni 2016

Obszession

Schon in den ersten Wochen meines Freiwilligendienstes ist mir dieser eine Unterschied der südafrikanischen Mentalität gegenüber der deutschen aufgefallen. Sicherlich hervorgerufen durch den in Europa herrschenden, starken Verbraucherschutz und des allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstseins.
Der Zigarettenkonsum, vor allem unter Jugendlichen, soll in Deutschland zurückgehen. Während in den 80ern das Rauchen noch in Mode war und es zum guten Ton gehörte, einem Gast eine Zigarette anzubieten, merkt man heute eine wachsende Abneigung gegenüber Nikotin und vor allem den unzähligen Schadstoffen, die in dem einige Zentimeter langen Papierröllchen stecken. Auch kleben mittlerweile Schockbilder auf den Verpackungen – wie gut diese ihre Wirkung entfalten können, ist fraglich. Nichtsdestotrotz herrscht eine geringe gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Rauchen, was man auch daran erkennt, dass Fernseh-Werbung von Zigarettenherstellern sowie beispielsweise das Sponsoring eines Sportclubs verboten sind.
Anders ist dies in Südafrika. Mir scheint, als stecke dieses Land noch in den 80ern. Rauchern gehört hier zwar nicht zum guten Ton, doch erstickt dieses Land förmlich in einer Tabakwolke. Dabei herrscht in allen öffentlichen Gebäude ein Rauchverbot. Auch im Gastgewerbe darf nur in einem abgetrennten Raum geraucht werden. Doch begeht die Regierung den Fehler, nicht den mutigen Schritt zu gehen und Tabakwaren hoch zu besteuern.Während in Deutschland Steuern in Höhe von bis zu 90% auf eine Schachtel Zigaretten erhoben werden, liegen diese in Südafrika bei etwa 30%. Zwar konnte die WHO einen Zusammenhang zwischen Steuern und Konsum feststellen, doch sind die Zahlen weiterhin noch sehr hoch.
Die Erhöhung der Steuern böte insbesondere dem Schwarzmarkt einen fantastischen Nährboden. Vor allem in Gebieten der Cape Flats und Townships, beispielsweise in Kapstadt, würde dieser wunderbar wachsen, haben Polizeikräfte dort doch wenig zu sagen. Die Machtlosigkeit der Autoritäten wird jetzt schon deutlich, wenn man sich die hiesigen Gangstrukturen ansieht. Diese haben Kapstädter Vororte wie Manenberg, Hannover Park oder Bonteheuwel fest im Griff. Von den „four corners“ - den Gefängnissen – bis zum Verkauf von Obst auf den Straßen und Kreuzungen kontrollieren sie alles. Es würde nicht lange dauern, da würden sie auch darüber regieren.
Zum günstigen Preis kommt hinzu, dass die Größe der Zigarettenschachteln fast schon beliebig sein darf. Während in Deutschland nur große, und demnach teure Packungen zugelassen sind, werden in Südafrika sogar lose Zigaretten für 1 Rand verkauft – umgerechnet 5 Cent.
Aus all diesen Umständen resultiert, dass unter den Menschen eine Akzeptanz, zumindest Toleranz gegenüber dem Rauchen herrscht. Wenn schon in Bars und Restaurants engagierte Models ein illuminiertes Tablett mit Zigarettenschachtel präsentieren und diese verkaufen, sinkt die Hemmschwelle.
Für Südafrika charakteristisch ist weiterhin die Modedroge Tik, eine Form von Crystal Meth. In Europa ist Tschechien die Kontinentalfabrik für diese synthetische Droge. Billig, doch sehr unrein. Ähnlich ist es in Südafrika. Vor allem für Menschen, die auf der Straße wohnen oder in Townships leben, also wenig Geld zur Verfügung haben, ist diese günstige Version von Meth attraktiv, da sie die Konsumenten sofort und effektiv aus ihrem Leid zieht. Zu den positiv wahrgenommenen Effekten gehören Euphorie und ein wohltuendes Hochgefühl sowie Wachsamkeit – also genau das, was ich als Obdachloser auf der gefährlichen Straße haben möchte.
Zu den Langzeitfolgen gehören, wie bei Crystal Meth üblich, Unterernährung, Depressionen, ein fauler Mund, Psychosen sowie Organversagen.
Von psychoaktiven Substanzen abgesehen, gehören streng genommen auch alltägliche Genussmittel wie Zucker oder Fett zu Drogen. Nicht ohne Grund gehört Südafrika zu einer der dicksten Nationen der Welt. Unheimlich populär sind in Cornershops – kleinen Kioskläden – angebotene kleine Chipstüten. Für ein bis zwei Rand kann eine 20g-Tüte für den Weg zur Arbeit, für die Pause oder für die Kinder in der Schule erwerben. Und das jeden Tag, und nicht nur eine Tüte.
In den beliebten Rooibostee packt man nicht nur einen Löffel Zucker, nicht nur zwei Löffel Zucker, gleich drei Löffel Zucker – Esslöffel, wohlgemerkt.
In dieser Hinsicht kann ich keinen In-Deutschland-Hingegen- oder Während-In-Europa-Satz einbauen. Vielleicht sind unsere Lungen nicht ganz so schwarz, unsere Zähne nicht ganz so verfault, unsere Bäucher aber mindestens genau so fett wie die vieler Südafrikaner.

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