Wenn mir Südafrika eines
gezeigt hat, dann wie glücklich wir Deutsche uns schätzen sollten,
in einem solch sicheren Land zu leben.
Sicher? Die
Einbruchszahlen nehmen merklich zu. Flüchtlinge sorgen für das
Erwachen rechtspopulistischer Gruppierungen. Vor der eigenen Haustür
wütet islamisch-extremistischer Terror.
Ich möchte dies nicht
als „Meckern auf hohem Niveau“ bezeichnen, doch sind diese
Phänomene vielmehr einzigartig in ihrem Dasein und keinesfalls von
dauerhafter oder langfristiger Natur. Verbarrikadiere ich mich, nur
weil Einbrüche zunehmen? Meide ich große Menschenansammlungen, nur
weil der IS vor einigen Monaten Paris attackiert hat?
In Südafrika
verbarrikadiert man sich. In Südafrika geht man auch nicht unbedingt
aus dem Haus, wenn man es nicht muss. Meine Zeit in Lotus River –
in Deutschland würde man dieses Viertel als sozialen Brennpunkt
bezeichnen – hat mir viel über dieses Land verraten. Dort draußen
wüten Gangs. 26, 27, 28 nennen sich die Kapstädter Gangs. Der
schwache Sozialstaat sorgt dafür, dass vor allem Jugendliche und
junge Erwachsene sich von Kriminalität angezogen fühlen. Überfälle
sind an der Tagesordnung. Raubangriffe auf stehende Autos, sogenannte
Smash and Grab-Überfälle, sind ebenfalls nicht selten.
Gleich vor meinem
Wohnhaus in Observatory liegt ein Bahnhof der Metro. Eine
Unterführung verbindet uns mit dem Herzen Observatorys, der Lower
Main Road, auf der alle Supermärkte, Geschäfte, Bars und Clubs zu
finden sind. Nachts, wenn es dunkelt, ist diese Unterführung der
wohl gefährlichste Ort in ganz Obs. Weder sieht man, wer am andere
Ende oder im Tunnel ist noch brennt irgendein Licht, denn dieses ist
kaputt. Ständig hört man Geschichten, wie erneut jemand überfallen
und ausgeraubt wurde. Auch uns Freiwilligen ist an diesem Ort schon
einiges passiert.
Eines nachts – es war
Sommer und ich hatte das Fenster offen gelassen, damit ein bisschen
frische Luft ins Zimmer gelangt – bin ich aufgewacht von einem
merkwürdigen Geräusch draußen. Als ich meine Augen aufschlug, sah
ich, wie eine dunkle Gestalt draußen vor meinem Zimmerfenster stand
und mit einem langen Stock versuchte, durch die Gitterstäbe am
Fenster das Portemonnaie meines Mitbewohners zu ergattern. Voller
Panik sprang ich schreiend und fluchend auf. Der Einbrecher machte
sich ganz gemächlich auf und floh. Seit dem lasse ich das Fenster
geschlossen.
Es ist schade, erleben zu
müssen, zu was Menschen getrieben werden können, gibt der eigene
Staat keinen Halt. Der englische Philosoph Thomas Hobbs beschrieb
dies in seinem berühmtesten Werk „Leviathan“, welches noch heute
großes Ansehen in der Staatsphilosophie genießt. Hobbs ist der
Meinung, dass anthropologisch betrachtet der Mensch einen
Naturzustand besitzt. In diesen gelangt er in einem staatenlosen
Umfeld, in dem es weder Recht und Ordnung noch staatliche Autorität
gibt. Ein Mensch im Naturzustand wird gesteuert von seinen
natürlichsten Urtrieben: Gier, Neid, Wut. Er folgt keiner Moral,
woraus eine Welt der Anarchie und des Chaos entsteht. Hobbs spricht
davon, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei und ein Krieg gegen
sich selber führe, wenn ein jeder aus ist auf den Besitztum des
anderen. Nur eine Autorität, der jegliche Entscheidungsrechte
zugesprochen werden, kann für Ordnung sorgen und verspricht den
Menschen Sicherheit und Schutz.
Ein logisches Konzept,
doch vollkommen abwegig und haltlos – so empfand ich damals im
Philosophieunterricht Hobbs' Ansichten. Doch Südafrika hat mich von
dem Funken Wahrheit in jener Philosophie überzeugt.
Die Erlebnisse, die wir
Freiwillige in den vergangenen acht Monaten gemacht haben, spiegeln
sicherlich nur einen Ausschnitt der Kriminalität in diesem Land
wieder. Manche von uns wurden schon zwei Mal überfallen und durften
zwei Mal ihr Handy abgeben. Andere wurden in Townships mit Macheten
und Messern, gar mit Schusswaffen bedroht. Manche mussten ansehen,
wie ein Auto auf der Straße überfallen wurde. Andere wiederum sind
aufgewacht und ihr Auto war gleich weg.
Kriminalität ist an der
Tagesordnung. Und ich will nicht wissen, wie die Gangs dieser Stadt
operieren – die Schießereien in Lotus River, die ich gehört habe,
waren mir genug. Die Angst ist leider ein fast ständiger Begleiter.
Und es gibt nur wenig, was man tun kann, um sich zu schützen. Keine
Wertsachen bei sich tragen. Vorsicht walten lassen und Acht geben.
Die zwei Tore zum Vorgarten und zur Haustür immer abschließen.
Einbruchsgitter an allen Fenster anbringen. Eine hohe Mauer bauen.
Einen Elektrozaun auf die hohe Mauer stellen. Alarmanlagen und
Sicherheitskameras installieren. Einen privaten Sicherheitsdienst
engagieren, der auf Knopfdruck ein sogenanntes Armed Response-Team
losschickt.
Wer will das schon?
Eigentlich niemand.
Wer brauch das schon?
Leider viele.
Nicht wenige sehen diese
Maßnahmen als verwerflich an. Wenn man schon genug Geld hat, um all
dies zu finanzieren, dann kann man davon gerne etwas abgeben.
Schließlich werden Menschen in Townships und in den Cape Flats auch
überfallen und von Gangs penetriert. Menschen, denen eigentlich
nicht viel mehr abzunehmen ist. Oft erzählen mir Trainees auf der
Arbeit, wie ihnen am Wochenende das Handy geklaut wurde – weil sie
nachts alleine auf der Straße unterwegs waren.
Wer kann, der baut eben
hohe Mauern. So hoch, dass man die Nachbarn nicht mehr eben beim
Grillen im Garten besuchen kann. Dominant markiert man, was Mein und
was Dein ist. Die DDR sperrte ihre Bürger unfreiwillig ein. Hier
sperrt man sich hingegen gerne ein.
Ehre soll Hobbs erwiesen
werden, dafür dass er den Naturzustand des Menschen so festnageln
konnte. Ein Jammer, dass er damit Recht besaß.
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