Mittwoch, 11. Mai 2016

eGoli - die Stadt des Goldes und des Schundes

Die Innenstadt Johannesburgs
Wenn in Deutschland die Arbeit für einen Tag niedergelegt wird und Menschengruppen mit Bollerwagen durch die Walde wandern, dann ist der 1. Mai. Tag der Arbeit, ein Tag für die Arbeitnehmer, die sich diesen Feiertag erkämpft haben. Doof, dass dieser in diesem Jahr auf einen Sonntag gefallen ist. Einen Nutzen haben die Arbeitnehmer dadurch nicht erhalten.
Anders ist es in Südafrika. Hier ist der Regierung aufgefallen, dass dies nicht gerecht ist. Somit hat man entschieden – sollte denn der Tag der Arbeit auf einen Sonntag fallen – den darauffolgenden Montag als nationalen Feiertag zu feiern. Dies war dieses Jahr der Fall und somit wurden wir mit einem langen Wochenende beschert.
Unsere kleine-große Reisegruppe
Ich habe mich dazu entschlossen, mit Phillip, Leonie und Willy, drei Kapstädter Freiwilligen und guten Freunden, das lange Wochenende effektiv zu nutzen und einen Kurzurlaub in Johannesburg zu verbringen. Spät sind wir Freitag Abend aus Kapstadt aus nach Jo'burg, wie die fünf Millionen Einwohner zählende Stadt genannt wird, geflogen. Aus der Provinz Westkap sind wir nach Gauteng (gesprochen: Chauteng) geflogen, wovon Johannesburg die Hauptstadt ist.
Der Flughafen O.R. Tambo, der größte Flughafen Afrikas, war unsere Anlaufstelle. Von dort aus sind wir in den Stadtteil Melville, dem Observatory Joburgs gefahren. Dort haben uns Judith und Lara, unsere beiden Gastgeberinnen, und Linda aus Pretoria erwartet. Gemeinsam wollten wir das Wochenende verbringen.
"For to be free is not merely to cast off
one's chains, but to live in a way that
respects and enhances the freedom
of others." Nelsond Mandela
Joburg ist nicht für seine touristische Anziehungskraft bekannt. Vielmehr ist es das Wirtschaftszentrum Südafrikas – und trotz seiner Größe nicht die Hauptstadt oder Sitz eines Staatsorganes. In Johannesburg findet man die südafrikanische Börse, die sich dort aufgrund des Goldrausches während des 19. und 20. Jahrhunderts angesiedelt hat. Hunderte nationalen und internationale Unternehmen haben Sitze in Johannesburg. Die Stadt ist geschäftig und dynamisch – das merkt man auch an den Menschen, die alle einen Schritt schneller gehen als im Rest des Landes.
Der Eingang in die Apartheid
Dennoch war unsere erste Haltestelle ein Touristenziel; wenn nicht sogar DAS Touristenziel schlechthin in Johannesburg: das Apartheid-Museum. Gleich zu Beginn des Museums wird man mit der Realität vieler Menschen konfrontiert: Das Ticket entscheidet, ob man das Museum als White oder Non-White betritt. So werden Freunde und Familie gleich zu Anfang von einander getrennt. Die ersten Meter des Museums sind also ganz individuell gestaltet. Je nachdem, ob man nun Schwarzer oder Weißer ist, sieht man die ersten Ausstellungsstücke aus einer anderen Perspektive. Nach etwa drei äußerst lehrreichen Stunden hat man gut 100 Jahre Apartheidgeschichte hinter sich gebracht.
Wie auch Kapstadt hat Johannesburg eine alternative Kunstszene, die vorwiegend von jungen Menschen bestimmt wird. Ein Zentrum dieser urbanen Bewegung ist der Stadtteil Maboneng, ein altes Industriegebiet nahe des Stadtzentrums. Im Gegensatz zu Kapstadt ist diese weniger hip. In Maboneng finden sich kulinarische Märkte in Hintergärten, Arts and Craft-Märkte in alten Industriehallen und Trödelmärkte auf den Straßen. Dies erinnert schon ein wenig an das Künstlerviertel Woodstock in Kapstadt, hat jedoch seinen ganz eigenen Flair. So findet man Kunst von Straßenkünstlern, ehemalige Straßenkinder stellen ihre Fotografien aus, Expressionisten zeigen ihre kubistischen Werke auf Großleinwand.
Wagt man nun einen Blick auf die Straßen Johannesburgs, so sieht man die Kunst der dort lebenden mit anderen Augen. Die Innenstadt ist ein Albtraum: dreckig, ranzig, gefährlich. Besiedelt wird der Central Business District vorwiegend von Obdachlosen, Junkies und Gangs. Man traut sich nicht mal einfach so in die Innenstadt. Selbst eingeschlossen im Auto ist dieser Teil Joburgs alles andere als sicher – und das merkt man selbst durch die verschlossene Tür.
Während der Apartheid war es den Farbigen und Schwarzen nicht gestattet, im Zentrum wohnen zu bleiben. Diese mussten jedoch jeden Tag mit dem Bus oder Zug in die Stadt fahren, um dort ihrer Arbeit nachzugehen. Nachdem das Regime gefallen ist und die Diskriminierung aufgehoben wurde, zogen die Menschen in einer riesigen Welle in die Innenstadt – und mit ihnen ihre Probleme wie Armut, Drogenabhängigkeit und Kriminalität. So entstand das Bild des heutigen Stadtzentrums.
Mitten in der Stadt liegt das Carlton Centre, ein großes Einkaufszentrum. Dieses Hochhaus – das ebenfalls Büroräume beherbergt – heißt Top of Africa. Die oberste Etage, der 50. Stock, bietet eine Aussichtsplattform mit einem Rundumblick über Johannesburg. Innerhalb von 37 Sekunden reißt der Aufzug seine Passagiere bis ganz an die Spitze – und dann hat man einen atemberaubenden Blick über das Brooklyn Afrikas. Ganz auf seine eigene Art und Weise ist Joburg von dort oben schön – man kann sogar den Dreck und die Gefahr, die gut einhundert Meter weiter unten herrscht, ausblenden.
Der historische Kern Kliptowns
Berühmtheit hat auch das Township Soweto erlangt. Obwohl das South Western Township weniger ein Township als vielmehr eine Metropole für sich ist. Irgendwas zwischen 1,5 und 3,5 Millionen Menschen leben dort – vielleicht sogar noch mehr. Wir sind ins historische Kliptown, einem der ältesten Teile Sowetos gefahren. Kliptown ist für die Freedom Charta bekannt, die dort 1955 unterzeichnet wurde. Am 26. Juni fanden sich dort zehntausende Menschen aller Rassen zusammen, um gegen das Regime zu demonstrieren und der Unterzeichnung des Dokumentes beizuwohnen. Der Congress of the People forderte mit jener Charta die Demokratisierung des Landes und die Aufhebung jeglicher Diskriminierung und Rassentrennung.
Und dann war unser Kurzurlaub auch schon vorbei. Einiges konnten wir sehen – auch wenn es nicht viel zu sehen gab. Johannesburg ist sehr schnelllebig und vor allem groß. Leicht geht man verloren oder findet sich erst gar nicht zurecht. Schön ist es auch nicht wirklich. Und doch hat die Stadt ihren ganz eigenen Charme. Ein Ort zum leben? Ich bin doch froh, in Kapstadt wohnen zu dürfen – und gleich am Dienstag auch wieder arbeiten zu dürfen.

1 Kommentar:

  1. Lieber Nico,

    es hat mich sehr amüsiert über euren Besuch bei uns lesen zu dürfen. Deinen Eindruck über die Stadt und Menschen zu erfahren. Johannesburg ist nicht die schönste Stadt, aber sie hat ihren eigenen mal mehr mal weniger wunderbaren Charme, es braucht seine Zeit ihn zu entdecken. So wahre und klare Worte hast du gefunden!

    Die Tage mit euch hab ich sehr genossen, schön das ihr da wart :)

    Liebe Grüße, Lara

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