Mittwoch, 1. Juli 2015

Fair Berichten - die subjektive Objektivität

Ein Jahr Freiwilligendienst. Ein Jahr in einer Kultur,  die der europäischen kaum unähnlicher sein könnte - dabei würde ich jedoch sowohl der europäischen, als auch der südafrikanischen Kultur Unrecht tuen, wenn ich lediglich von einer Kultur spräche.
Wir alle haben gewisse Bilder und Assoziationen im Kopf, wenn wir von der südafrikanischen "Kultur" sprechen oder hören. Sinn und Zweck dieses Blogs ist es, eben diese vorzustellen, Einblicke zu gewähren, aber auch mit Klischees aufzuräumen. Man mag meinen, dass ich durch dieses eine Jahr in gewisser Weise ein Experte für Südafrika werde. Zumindest aber nehmen alle Leser dieses Blogs, die Informationen, die ich verbreite, meist ohne genau zu hinterfragen auf. 
Doch ich möchte hiermit deutlich darauf hinweisen, dass alles, was ich schreibe, fotografiere, filme und poste vollkommen von meinem subjektiven Standpunkt aus dokumentiert wurde. Vollkommene Objektivität und Faktizität ist nicht möglich - das möchte ich von vornherein feststellen. Aus diesem Grund möchte ich alle Leser bitten, das von mir veröffentlichte Material durchaus mit Skepsis zu hinterfragen. Mir ist es nicht möglich, das typische Südafrika zu präsentieren, weil es dieses nicht gibt. Auf Grund dessen möchte ich mit diesem Beitrag einige Punkte aufzeigen, die von mir zu hinterfragen sind, die von euch zu hinterfragen sind, die meine subjektive Realitätwahrnehmung erläutern und die falsche Erwartungshaltungen von mir und von euch  aufzeigen. 


  • Rassismus
Südafrika hatte jahrelange unter europäischer Unterdrückung zu leiden - das ist uns allen bekannt. Erst vor etwa 20 Jahren löste sich das rassistische Regime auf und Südafrika gilt seither als Hort für alle Nationen und Kulturen. Dieses Regime war Folge des massiven europäischen Kolonialismus, der seit der Entdeckung Amerikas stattfand. Doch wie stark auch heute noch koloniale Überbleibsel in den unterdrückten Gesellschaften verankert sind, ist für einen gutgläubigen Europäer kaum erdenklich. 
Kolonialismus, um zu einem funktionierendem System zu werden, muss auf verschiedenen Ebenen ausgeübt werden. Die offensichtlichste ist der Rassismus: die Trennung von Mir und Dir, beziehungsweise Uns und Euch. Das Unbekannte, das Unterentwickelte, das Andere wird ausgegrenzt und sanktioniert. Die Europäer sahen sich durch ihre politische, ökonomische und kulturelle Überlegenheit in der Vormachtstellung; sie empfanden es nicht nur rechtens, sondern auch pflichtens, die anderen zu sozialisieren. 
Das zweite Instrument des Kolonialismus war territoriale Besetzung, die politische Kontrolle und die ökonomische Ausbeutung. Wie bereits erwähnt besaßen und besitzen die Europäer vollkommene Macht und unterdrückten die ihrer Meinung nach unterentwickelten Völker. Auch heute noch profitieren wir von der damaligen Ausbeutung: Dass wir im Supermarkt eine solch riesige Auswahl an Obst für Spottpreise haben, liegt allein an diesem Punkt. Die kolonialisierten Völker mussten Produkte und Waren für die Europäer anbauen, welche diese wiederum allein in Europa verkauften - und heute weiterhin verkaufen.
Der dritte und letzte Aspekt des Kolonialismus war die Indoktrinierung. Glaubens- und Wissenssysteme der kolonisierten Völker wurden ebenfalls als minderwertig und unterentwickelt angesehen. Mit der Ankunft der Europäer zwangen diese ihre etablierten Formen auf: Das Christentum wurde importiert, der Kapitalismus etabliert, die faktischen Naturwissenschaften besaßen höheren Wert als "abergläubischen" Rituale und Praktiken und die Demokratie wurde eingeführt. Folge war, dass indigene Kulturgüter und Gesellschaftsformen aufgelöst wurden. Zusätzlich entstand eine Abhängigkeit zu Europa: Wirtschaftlichen Anschluss finden ehemalige Kolonien nur, wenn sie mit der westlichen Welt handeln, und dies gelingt nur, wenn man sich auf den kapitalistischen Weltmarkt begibt. Globalpolitischen Einfluss hat man nur dann, wenn man demokratische Prinzipien anerkennt - und dies gelingt, indem man beispielsweise dem britischen Commonwealth beitritt.
Diese kurze Darstellung der Formen vom Kolonialismus soll dazu dienen, die folgenden Punkte einer Berichterstattung rassismuskritisch zu betrachten und zu verstehen.
Rassismus bedient sich einiger Vorgänge, um zu funktionieren. So werden zunächst Unterschiede zwischen Menschengruppen verallgemeinert und dadurch die jeweiligen Subjekte objektiviert. Dies geschieht in der Regel durch die Verallgemeinerung von offensichtlichen biologischen Merkmalen, so zum Beispiel der Hautfarbe, der Haare oder morphologischer Äußerlichkeiten. Wenn man so will, stecke ich also alle Afrikaner in eine Schublade; die sind anders, die sehen anders aus. Dabei entziehe ich den anderen ihre Identität und mache sie zum Objekt, während ich mich selber als ein machtvolles Subjekt betrachte.
Doch Rassismus beschränkt sich nicht nur auf biologische Merkmale. Rassialisierung findet ebenfalls dann statt, wenn ich andere Eigenschaften zur Kategorisierung nutze, so zum Beispiel kulturelle oder gesellschaftliche. Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Arbeitsmoral können dazu dienen, mich von anderen zu distanzieren. Dieses Othering, also Personengruppen zum "Anderen" machen, ist ebenfalls ein Mechanismus des Rassismus.
Wenn ich nun die Anderen analysiert, kategorisiert und von mir distanziert habe, ist der letzte Schritt, diese Personengruppen zu erniedrigen. Dies geschieht, indem ich meine Merkmale nach meinen Normen aufwerte und die der anderen abwerte. 

  • Sprache
Dieser Blog vermittelt Informationen fast ausschließlich mittels Sprache und Wörtern. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass jegliche Beeinflussung, die ich vornehme, über dieses Medium geschieht. Um die suggestiv-subtile Macht der Sprache aufzuzeigen, möchte ich hier einige Aspekte der Sprache verdeutlichen, die stark und unauffällig beeinflussen.
Sprache kann rassistisch sein. Rassismus haben wir im vorherigen Teil bereits behandelt. Wie subtil Sprache rassistisch sein kann, zeigt sich an einigen Wortfeldern. Jedes Wort besitzt eine andere Konnotation. Diese ist auch noch für jeden Menschen anders. Schreibe ich beispielsweise in einem Blog-Eintrag "Hütte", so haben wir alle ein Bild vor unserem inneren Auge. Aber werde ich mit dieser Bezeichnung der Hütte gerecht? Habe ich nicht vielleicht vielmehr ein Haus gesehen? Und was für einen Eindruck erhält man, wenn man von einer "Hütte" liest? Natürlich denkt man an irgendwelche Lehm- oder Wellblechhütten. Doch die Assoziationskette ist damit noch nicht vorbei. Sofort denkt man an irgendwelche afrikanischen Buschvölker, fern ab von jeglicher Zivilisation. Kein Strom, kein Internet. Hungernde Kinder um deren Münder sich die Fliegen tummeln. Frauen, die tagelang zu irgendwelche Brunnen reisen müssen, um dreckiges Wasser zu schöpfen. Ach ja, begonnen haben wir mit dem Wort "Hütte". Entstanden sind Wörter wie "Stamm", "Eingeborener" oder "Häuptling" während der Kolonialzeit. Um Rassismus zu etablieren, haben die Europäer, wie oben beschrieben, die Anderen normativ abgewertet. Dadurch sind solche Begriffe entstanden. Jedoch bezeichnen diese auf keinem Fall auch nur annähernd die Wirklichkeit. Wir sagen so leicht: "Ein Stamm hat einen Häuptling.", würden wir aber zu unserer Dorfgemeinde "Stamm" sagen und unseren Bürgermeister "Häuptling" nennen?
Doch auch kleine Begrifflichkeiten können großen Einfluss haben und sind dabei meist sehr unauffällig. So kann man durch die Verwendung von "Wir" und "Sie" sehr trennscharf kontrastieren und unterschwellig eine Meinung propagieren. Auch das Wort "Man" gehört zu dieser Gruppe. da es Allgemeingültigkeit und Universalität fordert. Ebenfalls unauffällig ist der Passiv, da er den Akteur nicht in den Mittelpunkt setzt und ihn somit Aufmerksamkeit entzieht.
Zuletzt möchte ich auf des Deutschen Liebling hinweisen: die politische Korrektheit. Es ist schon fast peinlich, all die deutschen Erfindungen zu nennen, nur um nicht "Schwarzer" und "Weißer" zu sagen: Farbiger, Dunkelhäutiger, Mohr, Maximalpigmentierter, Pigmentbevorteilter. Es nimmt lächerliche Züge an und trägt letztendlich nicht zur Aufhebung von Rassismus bei. Dabei wissen viele Deutsche nicht, dass die Begriffe "Schwarzer", "Farbiger" und "Weißer", beziehungsweise "black", "colored" und "white" in Südafrika keinerlei rassistische Konnotation besitzen, sondern ganz einfach als neutrale Bezeichnung für die verschiedenen Gesellschaftsgruppen dienen.

  • Bilder
Neben dem Wort werde ich ebenfalls Fotos verwenden, um aus Südafrika zu berichten. Dabei erheben Fotos noch viel mehr als das geschrieben Wort Anspruch auf Wahrheit - schließlich habe ich es mit meinen eigenen Augen gesehen und fotografiert. Doch auch die Fotografie beeinflusst erheblich unsere Meinung und der Fotograf besitzt große Macht, indem er fotografiert.
Bilder gelten in der Regel als Beweis, sie stellen Tatsachen dar. Doch auch Bilder können manipuliert werden. Fotografiere ich ausschließlich ländliche und dörfliche Gegenden, so entsteht der Eindruck, als bestehe Südafrika wirklich nur aus Natur und Wildnis; dass aber Städte wie Kapstadt und Johannesburg mindestens genau so kosmopolitisch wie europäische Großstädte sind, verschweige ich. Ebenfalls ist die Bildkomposition von zentraler Bedeutung. Fotografiere ich von unten, so wirken die Personen auf dem Bild mächtig. Fotografiere ich jedoch von oben, so wirken die Personen auf dem Bild klein und schwächlich. Fotografiere ich einen jungen weißen Menschen inmitten einer Gruppe schwarzer Kindergarten- oder Grundschulkinder, erwecke ich das Bild eines europäischen Missionars, eines Weltverbesserers. 
Gehe ich nach Südafrika, so packe ich in meinen Koffer auch tonnenweise Erwartungen und Wünsche. Komme ich an, so werden diese erfüllt oder auch nicht. Nichtsdestotrotz sind diese auf Grund meiner Sozialisation und medialen Prägung in mir gefestigt. Dann ist es nur zu leicht, diese Bilder in meinem Kopf bestätigen zu wollen: eine majestätische Giraffe vor dem blutroten Sonnenuntergang, Kinder und Frauen in traditionellen Gewändern, Nur zu gerne würde ich jeden Verlag für Reiseführer mit einem individuellen Bild beglücken. Doch auch mich will ich in Szene setzen. Schließlich steht ein spannendes Jahr volle Abenteuer und Erfahrungen vor mir. Ich will auf meinen Fotos sehen, wie ich den Tafelberg erklimme, wie ich surfen lerne, wie ich selbstlos den armen Menschen in den Townships helfe, wie ich Hunger und Armut bekämpfe und selbst alles entbehre. Fotos werden immer mehr zu Trophäen, die der Welt dort draußen und meiner Familie beweisen sollen, was man alles getan hat. Letztendlich bestätige ich jedoch nur die Bilder in unseren Köpfen.

So viel zu den Grundlagen, die bei einer Berichterstattung zu beachten sind. Natürlich gibt es noch sehr viel mehr Felder, dennoch möchte ich nun einige handfestere Beispiele anbringen, die zeigen, was hinter typischen Aussagen und Äußerungen stecken.

  • Das Abenteuer
Es fällt sehr leicht, den eigenen Freiwilligendienst als ein Abenteuer darzustellen. Ich bin tausende von Kilometern von zuhause entfernt, alles ist anders und so fremd. Eine fremde Sprache, fremde Menschen, fremde Verhaltensweisen; kein Strom, kein fließend Wasser - und doch schaffe ich es, zu überleben. Die durchaus krasse Darstellung der Fremde ist Produkt des Othering. Solche Darstellungen der eigenen heroischen Taten verleihen Selbstvertrauen und Sicherheit, ist die Bewunderung aus Deutschland doch gewiss. 

  • Die eigene Diskriminierung
Es mag nicht selten vorkommen, dass Freiwilligendienstler überfallen oder ausgeraubt werden. Dadurch entsteht das Vorurteil, dass Einbruch und Diebstahl in Südafrika an der Tagesordnung sind. Doch die hohe Kriminalität ist lediglich die Folge der jahrzehntelangen Kolonialisierung. Die soziale Ungerechtigkeit ist dadurch entstanden, dass Weiße sich über die schwarze Bevölkerung gestellt haben. Und auch heute noch werden die ehemaligen Kolonien ausgebeutet, was uns Europäern zugute kommt: Enorme finanzielle Möglichkeiten und Flexibilität, uneingeschränkte Bewegungsmöglichkeit dank eines europäischen Passes und natürlich die politische Macht, auf Grund welcher man als Freiwilliger mit staatlicher Unterstützung in ein Entwicklungsland reisen und dort unterstützend tätig sein darf. Die eigenen Privilegien werden zu leicht vergessen und nicht beachtet, wenn man Kriminalität verurteilt. Dass man in einem solchen Fall von Diskriminierung oder gar Rassismus spricht, weil man ja schließlich weiß ist, ist nachvollziehbar, jedoch der falsche Ansatz. Betrachtet man die sozioökonomischen Verhältnisse der Täter, ist der Grund für kriminelles Verhalten meist schnell gefunden. Auch der Grund, man werde nur beklaut, weil man weiß sei, muss im Verhältnis gesehen werden, schließlich hat man selbst als Freiwilliger meist mehr Geld als die meisten Einheimischen. Von Rassismus kann allerdings gar nicht gesprochen werden, setzt diese doch per Definition langanhaltende Machthierarchien voraus, welche Schwarze über Weiße niemals hatten noch haben. Dennoch stellt man sich und die eigene gesellschaftliche Gruppe gerne als Opfer dar. Man projiziert das eigene rassistische Verhalten auf die eigentlichen Opfer und zieht sich somit aus der Affäre. Man verdreht damit Tatsachen, denn die situationsbedingte Diskriminierung hat nichts mit strukturellem Rassismus zu tun.

  • Weiße Missionare/Weltverbesserer
Ich bin als Europäer sozialisiert und habe westliche Normen und Werte angenommen. Dass diese nicht konform mit denen in Südafrika sind, ist klar. Dennoch wird es zum sogenannten Kulturschock kommen, bei dem ich nach etwas suchen werde, das mir Halt und Sicherheit gibt. Und das werden gewiss meine europäischen Werte sein. Diese kann man jedoch nicht auf die südafrikanische Kultur anwenden, auch wenn ich dies möchte. Wie oben beschrieben, haben die Europäer während der Kolonialzeit die Kultur der Afrikaner als minderwertiger und unterentwickelter angesehen. Und diese Haltung schwingt auch heute noch in unserem Selbstbild mit. Zusätzlich findet unter den Freiwilligen eine gegenseitige Identifikation statt. Die Gruppe Jugendlicher sieht sich als Gemeinschaft. Sie opfert ein Jahr ihres Lebens, um einem Entwicklungsland zu helfen. Dass "helfen" in diesem Fall das völlig falsche Wort ist, wird oft übersehen; die Freiwilligen haben keinerlei Ausbildung und Erfahrung und können niemals die Probleme des Landes lösen. Dennoch identifizieren sich die Freiwilligen untereinander und halten sich für etwas besseres.


  • Authentizität
Ich habe es bereits angesprochen: Bilder aus Reiseführern. Diese bestätigen meine vorgefestigte Meinung, bevor ich überhaupt ankomme. Noch vor der Abreise weiß ich, was mich erwartet und auch die Hinterbliebenden in Deutschland wissen, was zu erwarten ist. Diese Bilder im Kopf wollen bestätigt werden. Ich erhebe Gültigkeit auf die Vorurteile, wenn ich sie durch Blog-Einträge und Fotos bestätige: den wunderschönen Sonnenuntergang, traditionelle Stämme und Rituale. Dass die Wirklichkeit aber vielleicht ganz anders ist, verheimliche ich. Der Drang, das vermeintlich authentische zu beschreiben, kommt durch die Gegensätzlichkeit der Länder. Hunger und Armut kenne ich aus Deutschland nicht, doch halte ich es typisch südafrikanisch. Frauen und Kinder, die schwere Körbe auf ihren Köpfen tragen, kenne ich aus Deutschland nicht, doch halte ich es für typisch südafrikanisch. Was ich jedoch nicht für typisch südafrikanisch halte, sind urbane Ballungsgebiete, Hochhäuser und Bankenviertel. Das ist für mich als Deutscher völlig normal - und daher nicht typisch südafrikanisch.


  • Exotisierung
Schwarze sollen den Rhythmus im Blut haben. Sie sollen immer guter Laune und wahnsinnige Liebhaber sein. Solche Klischees haben wir schon alle einmal gehört - vielleicht können wir sie sogar bestätigen. Nicht, dass die aufgezählten Eigenschaften grundsätzlich negativ wären, doch kategorisiere ich hiermit eine Gesellschaftsschicht. Als wäre das noch nicht schlimm genug, reduziere ich sie auch noch auf emotional-körperliche Aspekte; Schwarze stecken voller Unbeschwertheit, Leichtigkeit, sie sind attraktiv und körperlich sinnlich. Außen vor lasse ich Attribute wie Verstandesarbeit, Intellekt und Denkvermögen. Ich stigmatisiere die gesamte Bevölkerungsschicht der Schwarzen und Farbigen, und trotzdem finde ich diese Eigenschaften anziehend und spannend - nicht zuletzt, weil ich sie nicht besitze, dafür aber Europäer bin und folglich intelligent und schlau bin und meinen Verstand benutzen kann. Vielmehr konzentriere ich mich auf die Wildheit und Natürlichkeit der Einheimischen. Wie auch während der Kolonialzeit sehe ich Schwarze als unterentwickelt und zurückgeblieben an.

  • Romantisierung von Armut
Die Komfortzone verlasse - diese Aussage wurde von vielen Jugendlichen aus meiner Gruppe getroffen, als sie sich für den Freiwilligendienst beworben haben. Den ganzen Überfluss in Deutschland lassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Auch für mich war dies ein Anreiz. Oft wird das Bild heraufbeschworen: Arm aber glücklich. Dieses Bild legitimiert bestehende, ungerechte Sozialstrukturen - Armut ist offensichtlich gar nicht so schlimm. Indem ich Fotos von tanzenden Menschen in ihrem heruntergekommenem Dorf veröffentliche, bestätige ich dieses Bild. Der Wunsch, die Komfortzone zu verlassen, zeigt, wie der globale Süden als Gegenstück unseres verkommenen Europa konstruiert wird.

Betrachtet man all die genannten Aspekte, auf die in einer rassismusfreien Berichterstattung zu achten sind, ist man zunächst überwältigt von der Tragweite des eigenen Handelns. Ich habe mich äußerst eingeschüchtert und sogar demotiviert gefühlt, nachdem ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe. Sogar der Gedanke, überhaupt nicht zu berichten und meinen Blog über den Haufen zu werfen, kam mir in den Sinn. Zwar ist dies eine Möglichkeit, Rassismus vorzubeugen, doch ist es ebenfalls möglich, zu berichten und dabei nicht rassistisch zu sein. Daher möchte ich hier nun einige Hinweise für meine Berichterstattung geben, auf die zu achten sind.
Wie ich bereits anfangs erwähnt habe, werde ich womöglich als Experte gehandelt, bin jedoch noch lange keiner. Alles, was ich während meines Freiwilligendienstes erlebe, ist rein subjektiver Natur. Auch meine Berichterstattung ist persönlich geprägt und soll auf keinen Fall als die Wahrheit gewertet werden.
Dieser Blog soll nicht ein reiner Reisebericht werden. Er soll persönlich gestaltet werden; man soll merken, dass er von mir kommt. Aus diesem Grund werde ich bei auftretender Unsicherheit und Verängstigung darüber sprechen. Selbstreflexion und -kritik sollen Bestandteil dieses Blogs sein. Dennoch will ich trotz alledem die Freiheit behalten, auch einmal nichts zu posten. Ich will die Möglichkeit haben, auch über einen längeren Zeitraum meine Gedanken für mich zu behalten, bevor ich erneut etwas poste.
Wie gesagt: Ein reiner Reisebericht soll dieser Blog nicht werden. Daher werde ich versuchen, auch historische oder persönliche Hintergründe zu Themen oder Geschichten zu erzählen. Wie tief die Kolonialzeit Spuren hinterlassen hat, konnten wir bereits erfahren. Folgen jener Zeit aufzudecken und von ihnen zu erzählen, ist mein Ziel, um umfassend und fundiert zu berichten. Doch auch dabei kann ich keine absolute Wahrheit versprechen. Ich werde nur erzählen, was ich erfahre, also aus zweiter Hand berichten.
Ich möchte mitten aus dem Leben berichten. Natürlich sind die Berichte von großen und spannenden Ereignissen am interessantesten, doch ich werde in Südafrika leben. Ich werde wahrscheinlich einem Sportverein beitreten, ins Fitnessstudio gehen, die Nachrichten schauen und lesen, afrikanische Autoren lesen, südafrikanische Musik hören, Museen besuchen, auf Festivals gehen - all das, was ich in Deutschland auch mache. Solche Erlebnisse sollen in diesem Blog auch einen Platz finden, denn sie gehören zu meiner Erfahrung dazu - sie gehören zu Südafrika, genau so wie Apartheid zu Südafrika gehört. Doch von ihnen hören wir im globalen Norden wenig. Aus diesem Grund, möchte ich auch von ganz gewöhnlichen Alltagssituationen erzählen.
Komplexe gesellschaftliche Strukturen gibt es in Südafrika ebenfalls zu genüge. In Deutschland wären es Neonazis und Punks, Flüchtlinge und Emigranten, Hauptschüler und Gymnasiasten, die gewissen gesellschaftlichen Subkulturen zugeordnet werden können. Auch wenn ich die südafrikanischen Pendants nicht zu Gänze verstehe, so möchte ich doch wenigstens versuchen, tiefer liegende Strukturen zu erläutern und eben nicht nur an der Oberfläche zu kratzen und von dort aus zu berichten.
Es hat sich gezeigt, dass eine Berichterstattung sehr komplex und kompliziert sein kann. Doch ich will nicht an meinen Freiwilligendienst herangehen, ohne mir vorher genaue Gedanken über alles gemacht zu haben. Sicherlich werde ich auch von Diskriminierung mir gegenüber, von exotischen oder romantischen Erlebnissen berichten. Sicherlich werde ich die miserablen Zustände in den Townships beschreiben und von Schwarzen erzählen, die trotz Armut glücklich sind, doch immer mit der Prämisse, Hintergründe zu erläutern und niemals blind an etwas heranzugehen. Von dem, was ich erlebe, werde ich auch berichten. Ich werde versuchen, rassistisches Gedankengut auszulassen. Ein Freischein für sorgenloses Berichten ist dieser Beitrag definitiv nicht, doch ich möchte hiermit darauf hinweisen, kritisch an meine Berichte heranzugehen. Und ich hoffe, ihr versteht, was alles hinter einem Blog-Beitrag stecken kann und welche Gedanken ich mir wozu gemacht habe.

Inspiriert und geleitet wurde dieser Beitrag von der Broschüre "Mit kolonialen Grüßen. Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet". Erstellt wurde diese vom Berliner Verein glokal e.V. Es handelt sich um die erste Auflage vom März 2012.

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